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  Bildung von Grund auf – wie sonst?

Bildung soll unsere Zukunft sein. Also einfach auflisten, was als Bildung und Ausbildung an Schulen oder Hochschulen ausgegeben wird – Abstraktionen, Aufmunterungsfloskeln, Daten-Sammelsurien, Pflichtveranstaltungen, Zukunftsgerede? Auch Sammellager wie Wikipedia sind Stillstand, Rückblick. Das ist nicht genug für die Zukunft. Daher soll hier am Beispiel der Psychologie ein konkretes und ganzheitliches Gegen-Bild belebt werden. Ein Bild von Bildung, wo eine Seherfahrung sowohl Theorie als auch Handeln einheitlich durchformt: Morphologie als Einsicht, Umgangsform, Behandlung, Entwickeln-Können der seelischen Eigenwelt (!) von Grund auf, aus einem Guss. Nur das bietet der Psycho-Logie in praxi eine Chance.
Weil die Psychologie heute jedoch auf eine einheitliche Konzeption bei Bildung und Ausbildung ver­zichtete, spielt sie in unserer Kultur keine anerkannte Rolle mehr, allenfalls für die üblichen Verdächtigen in Sachen Krankheit. Und als Sammelsurium von Abstraktionen kann diese Psychologie auch wirklich kaum etwas über die Behandlungsprobleme von Bildung und Ausbildung in unserer (Schein-)Kultur sagen, die ihre Inflationsgefahren, ihre Trugbilder, ihre Illusionskünste aus dem Blick rückt, verdrängt. Wenn die Psychologie bei ihrer Ausbildung selber keine Linie hat, vermag sie das Ganze auch nicht offen zu legen, auch nicht, welche unaufgeklärte Glaubens- und Gläubigerwirtschaft sich verbirgt hinter dem alleinseligmachenden und ‚alternativlosen‘ Objektivismus. Eine Behandlung und Bildung für die Zukunft setzte aber voraus, dass  man die Dinge beim richtigen Namen nennt und von da aus neue Entwicklungsprozesse der Behandlung in Gang setzt. Im anderen Falle bemängelt die Industrie mit Recht das Auseinanderfallen von Wissen und Praxis bei der Ausbildung an Schulen und Hochschulen.

Wissen was wir tun, ist wichtiger als Wissens-Bescheinigungen   
Das Bild von Bildung, das die Psychologische Morphologie entwirft, vereint das Werden von Psychologen mit der Erfahrung einer Werde-Wirklichkeit. Vom Wissen um ihre Gegenstandsbildung aus, bringt sie ihre Ausbildung in einem Gang voran. Wie immer schon gesagt, viel Nachschlagen kann Spaß machen, aber was nutzt das, wenn nicht gefragt wird nach dem warum und woher? Grundlagen für psychologisches Tun sind Fragen nach der Eigenwelt des Seelischen; wie funktioniert die wirklich? Ein Anhäufen von Daten-Wissen und Bescheinigungen, wie heute verlangt wird, der „kapitalistische“ Glaube an Abzählbares hilft nichts bei einer Analyse der Wirkungsqualitäten von Produktions- und Herstellungsprozessen. Auch die Wissenschaft wird hergestellt; sie liegt nicht einfach „objektiv“ vor und auch nicht „rein“ und voraussetzungslos irgendwo jenseits herum.
Selbstbewusstsein und Unerschütterlichkeit sind schön. Aber wie viel unbewusst gehaltener Glaube ist zur Vorannahme geworden beim „alternativlosen“ Mainstream. Bereits William James spottete vor hundert Jahren über die „unsterblichen Klötzchen“ des Glaubens an eigentliche Seins-Vermögen des Seelischen, wie sie heute noch die Lehrbücher bestimmen und die am sichersten im Gehirn festzustellen seien. Es sind schlimme, pseudoreligiöse Vorannahmen, die hier ihr Unwesen treiben: Es geben alternativlos anerkannte Abstraktionen von Reinheit, Exaktheit seelischer Dogmen, Zählbarkeit von Sünden und Wohltaten, Zweckmäßigkeit, Allgemeingültigkeit. Das sind Aufkleber, Stilllegungen, Anlehnungen, unbewusst wirksame, säkularisierte Glaubenslehren. Dem steht das Bildungssystem des Entwickeln-Könnens, und das damit verbundene Psychologe-Werden, von Grund auf entgegen.
Die Morphologische Psychologie stellt andere Qualitätskriterien heraus, wenn es für Psychologen darum geht, im eigenen Werden an die seelische Werde-Welt heranzukommen. Handhaben der Beschreibung führt heran an ein Leiden-Können der Sachen, wie sie nun einmal der Fall sind. Von der Beschreibung aus geht es über zu universalen Spannungsverhältnissen, die seelische Lebensbilder mitbestimmen: Das erfordert ein Methodisch-Werden bei sich und bei anderen, bei bewussten und unbewussten Prozessen. Im Umgang mit Gestalt und Verwandlung findet sich auch das einzige Mittel, unbewusste Prozesse zu „sehen“ und ins Bild zu rücken; dazu muss man auch lernen, die Probleme und Entwicklungen von Lebensbildern ausdrücklich zu verfolgen. Schließlich gehört zu einer Bildung, die auf die Zukunft bezogen ist, dass man das selbstverständlich Gewordene verrücken kann und sich auf das Unfassbare und Paradoxe der Wirklichkeit einlässt.

Entwickeln-Können braucht System
Indem die Psychologie verfolgt, wie sich Zusammenhänge von Vorgestalten bis zu Endverfassungen entwickeln, rückt Verwandlung, mitsamt ihren Problemen, ins Zentrum der Überlegungen. Wie es schon die ältesten Kunstwerke der Menschheit, die Märchen und Mythen, dargestellt haben, gerät das Seelische notwendig in das dramatische Werk einer Verwandlungswirklichkeit. Daher hat das Bildungskonzept der Morphologie auch die Vielfalt verschiedenartiger Verwandlungs-Bilder im Blick; sie sind zugleich Gestalt und Inhalt des seelischen Lebens in dieser Wirklichkeit. Bildung und Behandlung der Morphologie kreisen um Behandlungsmethoden, die sich vergleichen lassen mit ovidischen Metamorphosen, mit Mythen, Märchen, Träumen. Märchen stehen da als Muster für Kulturschöpfungen, als Merkformeln für Wirkungseinheiten.
Morphologische Psychologie verfolgt die Dramatik der Märchen als Bildgefüge und als Entwicklungsmetamorphosen. Das sind Grundlagen für die Behandlung von Entwicklungsprozessen, die in die Zukunft reichen. Zukunft für Rapunzel ist die riskante Freiheit der Psychästhetik auf weitem Feld; dafür verlässt Rapunzel den Turm und gewinnt ein anderes Leben. Die Zukunft für Hänsel und Gretel ist umschrieben mit den Elementen von Feuer und Wasser – das tritt an die Stelle der verhexten Käfig-Häuser.  

Realität seelischer Eigenwelt
Bildung für die Zukunft macht seelische Kultur und Wissenschaft als Herstellungsprozess kenntlich. Hinsehen, Verstehen, Begründen, Entwickeln müssen auseinander hervorgehen, und das muss zu einer Psychologie führen, die Probleme aus dem Handgelenk anpacken und zergliedern kann. Es ist gleichsam eine Zusammenhangs-Befragung – das ist etwas anderes als das Ankreuzen von Abfragebögen.
Bei der uneinheitlichen Einheit des Seelischen ist nicht aus dem Blick zu verlieren, dass die seelischen Gesetze, die Logik von Traum und Märchen, durchaus den Gesetzen zu vergleichen sind, die als „Mechanismus der Dinge“ verstanden werden. Das Seelische geht voran in einem unvermeidlichen Folgegang von Festhalten und Aufgeben, von Verwandlungen und Gestaltbildungen. Diese Metamorphosen sind Grundlagen für die Behandlung von Entwicklungsprozessen.  
Seelisches sucht zu überleben (Überlebenskunst); was den Gedanken mit sich bringt, es gebe eine unbewusste geheime Intelligenz von Gestaltverwandlung oder Strukturierung. Auf diese Intelligenz bezieht sich die Ausbildung von Psychologen: Eine morphologische Behandlung rechnet von vorne herein mit anderen seelisch eigentümlichen Kategorien, ja sie macht überhaupt erst mal auf Kategorien als Grundlagen wissenschaftlicher Psychologie aufmerksam. Daher bezieht sich die psychologische Ausbildung ausdrücklich auf Gestalt-Kategorien wie Dazwischen, Indem, Paradox, Drehfigur. Für die Analyse der Muster der Verwandlungs-Dramatik, die sich auf solche Kategorien stützt, stellt die morphologische Methode eigene Darstellungsformen wie Hexagramm, Versionen, Zirkulationen, Spiralprozesse bereit.

Cetrerum censeo, sagte Cato
Von Bildung und Zukunft reden, heißt in ein System eintreten (Morphologie), das alte Gewohnheiten entlarvt und Zerstörungen verlangt, wenn sie der Sache der Bildung widersprechen. Daher sind Wissensanhäufungen, Internetzitate und Fußnoten, einfach zu wenig; Wissenschaft betreiben heißt, selbstständig an eine Sache heran­gehen, ihre Eigenart leiden und entwickeln können. Das gründet auf Einsicht in das seltsam gestaltete System der seelischen Eigenwelt, und diese Einsicht können Psychologen allein in ihrem Mitbewegen erreichen. Darauf ist das morphologische Bildungskonzept bezogen. Das Erlernen von Psychologie bleibt zu jeder Zeit ein Umlernen, ein Weggehen von bildungsfeindlichen, überperfekten Vorannahmen. Das gilt auch für 2011 und die Zukunft.  Zukunft wird zur Anwendung: Aufheben herkömmlicher Begriffs-Festsetzungen, Freisetzen von Anders-Werden, Zulassen von unbekannten, nicht abgestempelten Verwandlungen.